Jacques Rancière beschreibt künstlerische Praxis als die Gestaltung des Verhältnisses „von Wissen und Nichtwissen, von Sinn und Sinnlosigkeit, von logos und pathos, von Realem und Phantastischem“.[1] In diesem Zwischenraum entwerfen auch Wawrzyniaks Bilder ihre Bezugnahme auf die Welt. Dabei scheint der Künstler seine Arbeiten – vor dem Hintergrund der Geschichte der Malerei – nicht unbedingt als spektakuläre Neuerfindungen zu verstehen. Ganz offensichtlich geht es hier nicht darum, mit großer Geste vordergründige Geltungsansprüche im Feld der Kunst zu formulieren. Vielmehr scheint das eigentliche Wagnis darin zu bestehen, mit leisen Tönen postutopische Annäherungen an andere Räume zu formulieren (ein weißer leerer Raum, eine Ecke, ein Schatten) und dabei nicht zuletzt auch die eigene Unzulänglichkeit zu zeigen. So gesehen lässt sich Wawrzyniaks Kunst als Dissidententum gegenüber dem aufgeregten Treiben postmoderner Weltläufigkeit betrachten. Ein Dissidententum, das allerdings nicht eine schlichte Verweigerungshaltung darstellt, sondern als ein neues Ethos verstanden werden kann. Die amerikanische Philosophin Judith Butler hat in ihrem Buch „Kritik der ethischen Gewalt“[2] vorgeschlagen, eine Ethik nicht auf der Basis des humanistischen Ideals eines für all seine Handlungen selbst verantwortlichen Subjekts zu gründen, sondern auf der Unmöglichkeit, voll für sich Rechenschaft ablegen zu können[3], mithin auf einem Subjekt, das „sich selbst undurchsichtig ist“.[4] In ihrem Verständnis muss der gegenseitige Respekt vor unserer Unzulänglichkeit und der Umgang damit, dass wir „einander […] notwendig ausgesetzt sind“[5] Grundlage der Ethik sein. Ethik basiert demnach auf der Idee, Schwäche als Tugend zu interpretieren; Ethik meint so verstanden eine „Solidarität der Verletzlichen“[6], eine Akzeptanz der Gefährdung und „Begrenztheit des Anderen“[7]. An ein solches Selbstverständnis und so empfundene Weltverhältnisse lassen die gefährdeten, introvertierten Bildräume von Wawrzyniak denken.
[1] Rancière, Anm.6, S.39
[2] Butler, Judith (2003): Kritik der ethischen Gewalt, Frankfurt a. M. 2007.
[3] „Meine Rechenschaft von mir ist selbst nur eine partielle; sie ist heimgesucht durch etwas, wofür ich keine Geschichte habe“, schreibt Butler (ebd., S. 57).
[4] Ebd., S. 30
[5] Ebd., S. 46 (Kurs. im Orig.)
[6] So formuliert es der slowenische Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Zizek auf Butler kritisch Bezug nehmend (Zizek, Slavoj (2005): Die politische Suspension des Ethischen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 17)
[7] Ebd., S. 16
Karen van den Berg: Auszug aus dem Text Die Räume hinter den Räumen. Jan Wawrzyniaks verschlossene Heterotopien; in: Jan Wawrzyniak: Gezeichnete Bilder | Drawn Pictures, Ed. by H.-L. Alexander von Berswordt-Wallrabe, Kunsthalle Erfurt, Kunstmuseum dkw Cottbus, Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern, 2007
Jan Wawrzyniak
*1971 in Leipzig, lebt und arbeitet in Berlin
2011 Will‐Grohmann‐Preis, Akademie der Künste Berlin
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