Erich Reusch | Ausstellungsansicht | Exhibition view | Erich has just left the building | In Erinnerung an Erich Reusch | Galerie kajetan 2021 | Photo: Marcus Schneider

Erich has just left the building | In Erinnerung an Erich Reusch

17 September 2021 – 20 November 2021

Mit Arbeiten von | With works by:

MONIKA BRANDMEIER | MARC GORONCY | WERNER HAYPETER | NORBERT KRICKE | INGRID LØNNINGDAL | ERICH REUSCH | GÜNTER UMBERG | ELISABETH VARY | JAN WAWRZYNIAK

Erich Reusch | Monika Brandmeier | Norbert Kricke | Werner Haypeter | Erich Reusch | Ingrid Lønningdal | Ausstellungsansicht | Exhibition view | Erich has just left the building | In Erinnerung an Erich Reusch | Galerie kajetan 2021 | Photo: Marcus Schneider

In diesem Jahr wäre der deutsche Bildhauer und „Pionier des dezentralen Raums“ Erich Reusch 96 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass präsentiert kajetan Berlin in ihren neuen Räumlichkeiten in der Grolmanstraße 58 eine Gruppenausstellung von neun Positionen unterschiedlicher Generationen und Gattungen – Arbeiten von Reuschs Wegbegleitern, Freunden, Schülern und Kollegen, die als direkte und teils überraschende Kommentare seines künstlerischen Erbes lesbar sind. 2019 richtete die Galerie unter Reuschs Begleitung seine zu Lebzeiten letzte Einzelausstellung aus. Gemeinsam mit den teilnehmenden Künstlern und Künstlerinnen wird im Sinne des Medienexperimenteurs Reusch der Raum als das eigentliche Ereignis zu vermitteln gesucht.

This year, the German sculptor and „pioneer of decentralised space“ Erich Reusch would have turned 96. On this occasion, kajetan Berlin is presenting a group exhibition of nine positions from different generations and genres in its new space at Grolmanstrasse 58 – works by Reusch’s companions, friends, students and colleagues that can be read as direct and sometimes surprising commentaries on his artistic legacy. In 2019, the gallery hosted Reusch’s last solo exhibition during his lifetime. With the participating artists, kajetan Berlin looks to convey the space as the actual event, in the spirit ofthe media experimenter.

Jan Wawrzyniak | Erich Reusch | Monika Brandmeier | Norbert Kricke | Werner Haypeter | Erich Reusch | Ausstellungsansicht | Exhibition view | Erich has just left the building | In Erinnerung an Erich Reusch | Galerie kajetan 2021 | Photo: Marcus Schneider

Zeitlebens verrückte ERICH REUSCH die Grenzen der Kunstgattungen und ihre bis dato geltenden Logiken innerhalb des Raums. Der ausgebildete Architekt war der erste, der die Skulptur von ihrem Sockel löste und eine Bodenplastik konzipierte, die nur im Zusammenspiel mit der Umgebung funktioniert – die In Situ-Kunst war geboren. Die präsentierten Arbeiten seines Spätwerks bezeugen den konsequenten Umgang mit dem Raum als ein der Form und Farbe stets gleichwertiges Gestaltungselement. So ist es der Weißraum, der der zunächst unausgewogen scheinenden Komposition der energisch bemalten Leinwände des Diptychons von 2019 zu einem harmonischen Gleichgewicht verhilft. Oder aber der Ausstellungsraum selbst, der als Gegenstück zu den unregelmässigen, scharfkantig gesägten und mitunter grell bemalten Wandobjekten aus Plexiglas fungiert. Sie markieren sowohl Begrenzung wie auch Öffnung des Raums und aktivieren ihn an ungeahnten Stellen.

Bei ELISABETH VARYS Wandinstallation von 2009 zeigt sich die künstlerische Arbeit mit und an dem Raum erst auf den zweiten Blick. Mit seinen intensiven Farbkontrasten und mehrschichtigen Farbverläufen zieht der zweiteilige, geometrisch freie Körper aus Karton den Blick schnell auf sich und verrät sodann seinen asymmetrischen Aufbau. In seiner freien, von der Wand losgelösten Form am Boden würde der Farbkörper kippen. Sowohl die Farbe als auch der eigene Schattenwurf entfalten jedoch ein optisches Gewicht, das den Körper stabilisiert und dessen Raumgebundenheit unterstreicht. Mit wechselnder Perspektive blicken wir auf neue Formen und Gestalten.

Stärker aus dem Lot geraten erscheint uns die Kohlezeichnung Concrete Island (10063) von JAN WAWRZYNIAK, die in ihrer zurückgenommenen Form und Abwesenheit von Farbe sensibel auf den umgebenden Raum reagiert. Mit ihrer widersprüchlich scheinenden Ausführung – Kohle auf Leinwand, deren irregulärer Keilrahmen und geneigte Hängung ein gerade ausgerichtetes Motiv trägt – verweigert sich die Zeichnung einer Tiefenwirkung im Bild und so dem Darstellenden im Allgemeinen. Mittels weißer Grundierung fügt sie sich dezent in den Raum, während sie deutlich mit unseren Sehgewohnheiten bricht. Es ist das unstete und unbestimmte Moment, das hier seine Verbildlichung erfährt.

Einen ähnlich analytischen Umgang mit dem eigenen Ausdrucksmedium finden wir bei MARC GORONCY und seinem hochformatigen Wandbild SL 05. Die Arbeit besteht aus drei Natur-Lein-wänden, in die in rhythmischer Abstufung horizontale Linien aus vollständig vernähten Stoffen eingearbeitet sind. Obwohl Goroncy Volumen und eine räumliche Tiefe andeutet, entzieht er sich dem Verweis auf etwas, das außerhalb des Bildes liegt. Die Wiederholung des Musters in der Vertikalen und Horizontalen negiert eine bestimmte Leserichtung und führt auf sich selbst zurück. Klare, streng anmutende Strukturen sind durch die Handarbeit am Textil aufgeweicht. Es ist der eigene Entstehungsprozess und seine Aufbereitung für den (Ausstellungs-)Raum, den der Künstler uns in aller Deutlichkeit vermittelt.

Die Beschäftigung mit Vertikalen und Horizontalen als die Raum und Perspektive bestimmenden Größen prägt auch die eigens für die Ausstellung konzipierte Arbeit Aufzählung von Reuschs ehemaliger Meisterschülerin MONIKA BRANDMEIER. Dezentral im Raum installiert und von drei Waagengewichten gestützt, dominiert ein Eisenstab in seiner Höhe und Materialität die trotz aller Nüchternheit dramaturgisch anmutende Situation. Seine Umgebung – der Raum selbst und die Abfolge von den in ihrer Ausdehnung industriell divers gefertigten Elemente – schafft ein Narrativ, das sich sowohl auf die Nähe und Distanz der Einzelstücke zueinander wie auch auf ihre unterschiedlichen negativen und positiven Formen stützt. Der Raum als konstitutives Element, das die Lesart künstlerischer Setzung erst bestimmt.

Das vertikale, erhabene Moment begegnet uns sodann bei GÜNTER UMBERG und dessen schwarzem Monochrom. Während das Großformat eine entfernte Position des Betrachters einfordert, verlockt die ungewohnt dichte Pigmentaufschichtung zunächst dazu, nah an den Bildträger zu treten. Gleichzeitig erlaubt es die sensible, fast pudrig scheinende Oberfläche nicht, einen bestimmten Abstand zum Werk zu unterschreiten. So entwickelt sich die Arbeit aus ihrem spezifischen Bezug zum Raum und dialogischen Verhältnis zum Betrachter, der zwischen Nähe und Distanz oszilliert. Sich dem Abbildenden radikal verweigernd, betont Umberg bereits in seinem Frühwerk den installativen Charakter seiner Malerei.

Anders als bei Umberg sucht die Arbeit WERNER HAYPETERS bewusst die Nähe des Betrachters. Das formreduzierte, streng geometrisch angelegte Wandobjekt scheint in seiner Farbigkeit den Raum zu erleuchten. Mit gelben, seitlich ausgerichteten Rechtecken aus gegossenem Epoxidharz innen und aufgetragener Acrylfarbe außen, lädt die Arbeit dazu ein, ihre komplexe Konstruktion aus nächster Nähe nachzuvollziehen. Haypeter verwendet ausschließlich industriell gefertigtes Material, das von Spuren seines künstlerischen Eingriffs durchzogen ist. Die so erzeugte Spannung verweist auf die eigenen Produktionsbedingungen in je unterschiedlichen sozialen Räumen.

Das Denken vom Raum aus prägte auch das plastische Schaffen NORBERT KRICKES und einte ihn mit Reusch, für den er in seiner Position als Direktor der Kunstakademie Düsseldorf den neuen Lehrstuhl „Integration Bildende Kunst und Architektur“ eingerichtet hatte. Seine freie Bodenskulptur Raumplastik Weiß 1975/21 ist aus zwei schlanken Stahlrohren geformt, die in rechten Winkeln den Raum strukturieren. Ein Rohr steigt vertikal aus dem Boden und verläuft horizontal zur Seite, um hier wieder abzuknicken und tief in den Raum hinein zu greifen. Je nach Standpunkt changieren Anfangs- und Endmoment der Plastik, sodass sie ausschließlich im Erleben von Raum fassbar wird.

Wie wir selbst uns in und zu diesen verhalten, das erforscht die norwegische Künstlerin INGRID LØNNINGDAL, die ihre Arbeiten in Malerei, Zeichnung, Text und Textil aus dem Studium städtischer Architekturen heraus entwickelt. Ihr Beitrag zur Ausstellung ist eine kleinformatige Studie aus der fortlaufenden Serie Beat (Stressed/Unstressed). Schicht für Schicht baut Lønningdal mit Aquarellfarbe und Gouache langsam, auf nie vollständig durchgetrocknetem Papier geschlossene Kreise auf, die sich zunehmend farblich verdichten, die unteren Schichten jedoch durchscheinen lassen. Mittels changierender Farbqualitäten untersucht Lønningdal das Zusammenspiel sowie Effekte von Farbe und Raum.

Mit den vielfältigen künstlerischen Beiträgen versteht sich die Ausstellung als Hommage an den stets grenzüberschreitend am Raum arbeitenden Erich Reusch, dessen Œuvre bereits früh multimedial geprägt ist.

Eliza Grabarek M.A.

Günter Umberg | Marc Goroncy | Ausstellungsansicht | Exhibition view | Erich has just left the building | In Erinnerung an Erich Reusch | Galerie kajetan 2021 | Photo: Marcus Schneider

Throughout his life, ERICH REUSCH disrupted the boundaries of art genres and their hitherto valid logics within space. The trained architect was the first to detach sculpture from its pedestal and conceive a floor sculpture that only functions in interaction with its surroundings – in situ art was born. The works presented from his late œuvre attest to his consistent treatment of space as a shaping element, always equal to form and colour. Thus, it is the white space of the initially seemingly unbalanced composition of the energetically painted 2019 diptych that completes a harmonious equilibrium. Or the exhibition space itself, which functions as a counterpart to the irregular, sharp-edged and sometimes garishly painted plexiglass wall objects. They mark both the boundary and opening of the space and activate it in unexpected places.

In ELISABETH VARY’s wall installation from 2009, the artist´s work with the space only becomes apparent at second glance. With its intense colour contrasts and multi-layered colour gradients, the two-part, geometrically free body made of cardboard quickly draws the eye and then reveals its asymmetrical structure. In its free form, detached from the wall and placed on the floor, the body of colour would tilt. However, both the colour and its own cast shadow unfold an optical weight that stabilises the body and underlines its spatiality. With changing perspectives, we look at new forms and shapes challenging how we understand the act of looking.

More out of kilter appears to us the charcoal drawing Concrete Island (10063) by JAN WAWRZYNIAK, which in its withdrawn form and absence of colour reacts sensitively to the surrounding space. With its seemingly contradictory execution – charcoal on canvas, whose irregular stretcher frame and inclined hanging supports a straightly aligned motif – the drawing refuses to create an effect of depth in the picture and thus to representation in general. By means of white priming, it discreetly blends into the space, while clearly breaking with our habits of seeing. It is with unsteadiness and indetermination that we are confronted as spectators.

We find a similarly analytical approach to one’s own medium of expression in MARC GORONCY and his vertical-format SL 05. The work consists of three natural canvases into which, in rhythmic gradations, horizontal lines are incorporated from fully sewn fabrics. Although Goroncy suggests volume and a spatial depth, he eludes reference to anything outside the picture. The repetition of the pattern in the vertical and horizontal negates a specific reading direction and leads back to itself. Clear, strict-looking structures are softened by the handwork on the textile. It is the artist’s own process of creation and its preparation for the (exhibition) space that he conveys to us in all clarity.

Preoccupation with verticals and horizontals as variables that determine space and perspective also characterises the work Aufzählung (Enumeration) by Reusch’s former student MONIKA BRANDMEIER, conceived for this exhibition. Decentrally installed in the room and supported by three scale weights, an iron rod dominates in its height and materiality the situation, which, despite all its sobriety, seems dramaturgical. Its surroundings – the room itself and the sequence of the industrially diversely made elements – create a narrative that is based both on the proximity and distance of the individual pieces in relation to each other and their different negative and positive forms. Space is the constitutive element that first determines the reading of an artistic setting.

The vertical, sublime moment is then encountered in GÜNTER UMBERG and his black monochrome painting. While its large format demands distance from the viewer, the unusually dense layering of pigment tempts one to step close to the work. At the same time, the sensitive surface, which seems almost powdery, does not allow the viewer to step beneath a certain distance. Thus, the work develops out of its specific relation to space and dialogical relationship to the viewer, who oscillates between closeness and distance. Radically refusing depiction, Umberg already emphasised the installative character of his paintings in his early stage.

In contrast to Umberg’s work, WERNER HAYPETER’s piece deliberately seeks the viewer’s proximity. The reduced, strictly geometrical wall object seems to illuminate the room with its colourfulness. With yellow, laterally aligned rectangles of cast epoxy resin on the inside and applied acrylic paint on the outside, the work invites the viewer to follow its complex construction at close range. Haypeter uses only industrially manufactured material that is infused with traces of his artistic intervention. The apparent tension refers to the artist’s own conditions of production in different social spaces.

Thinking first from the space characterised also NORBERT KRICKE’s sculptural work and united him with Reusch, for whom he had established the new chair „Integration of Fine Arts and Architecture“, in his position as director of the Kunstakademie Düsseldorf. His free floor sculpture Raumplastik Weiß 1975/21 is formed from two slender steel tubes that structure the space at right angles. One tube rises vertically from the floor and runs horizontally to the side, only to bend again here and reach deep into the room. Depending on the point of view, the initial and final moments of the sculpture change so that it can only be grasped in the experience of space.

The Norwegian artist INGRID LØNNINGDAL, who develops her works in painting, drawing, text and textiles from her study of urban architectures, explores how we ourselves relate to space. Her contribution to the exhibition is a small-format study from the ongoing series Beat (Stressed/Unstressed). Layer by layer, Lønningdal slowly builds up closed circles with watercolour and gouache on paper that never fully dries. Increasingly condensed in colour, the work´s layers nonetheless allow themselves to show through. With this technique, Lønningdal explores the interplay and effects of colour and space by means of changing colour qualities.

With diverse artistic contributions, this exhibition pays an homage to Erich Reusch’s play with space across borders and an œuvre that was marked by multimedia from an early stage.

Eliza Grabarek M.A.

Elisabeth Vary | Jan Wawrzyniak | Erich Reusch | Ausstellungsansicht | Exhibition view | Erich has just left the building | In Erinnerung an Erich Reusch | Galerie kajetan 2021 | Photo: Marcus Schneider

Photos: Marcus Schneider