14 September 2019 – 23 November 2019
Review by Christiane Meixner at Der Tagesspiegel from 9.10. 2019
Brief review by Ingeborg Ruthe in the Berliner Zeitung from 24.10. 2019
Recommendation by Noemi Molitor in the tageszeitung (taz) from 2/3.10.2019
„Sein heißt in der Klemme sein.“ (E. M. Cioran, Zersplitternde Gewissheiten)
Vielleicht gibt es keinen Satz, der trefflicher in die Gemengelage einführen könnte, aus der heraus Jan Wawrzyniaks gezeichnete Bilder ihre Wirksamkeit entfalten. In seiner ersten Einzelausstellung bei kajetan Berlin zeigt der Künstler neue, auf beinahe beklemmende Weise entleerte Arbeiten: Großformatige Bilder, die in ihrer Undurchlässigkeit für den Betrachter kaum noch als Bilder bezeichnet werden können und die weitestgehend unbeschreibbar bleiben.
Bereits die simple technische Frage, ob es sich hierbei um Zeichnungen oder Bilder handelt, ist weniger gewiss als man annehmen möchte. Ähnlich verhält es sich in der Betrachtung der einzelnen Werke: Flächen treten hervor und wieder zurück, klappen auf und zu oder bleiben eigenartig ungreifbar. Alles scheint merkwürdig verzogen, die Zentren fehlen, Perspektiven sind flach, Fluchtpunkte existieren nicht.
Das selbst gewählt verknappte Instrumentarium des Künstlers besteht aus leicht aus der Form gebrachten, unregelmäßigen Bildformaten, überwiegend weiß grundierten Geweben und der Zeichenkohle, mithilfe derer Jan Wawrzyniak grau nuancierte, teilweise wolkige, aber immer seltsam prekäre und nur schwer bestimmbare Verhältnisse aus bearbeiteten und unbearbeiteten Flächenräumen konstruiert.
Obwohl seine Bilder – auf den ersten Blick leicht zu erfassen – klar und deutlich definiert sind, lassen sie sich kaum zu einem sinnvollen Ganzen, etwa einer konsistenten Form, zusammenfügen und scheinen dennoch einer eigenen Logik folgend aufeinander bezogen zu sein.
Auf diese Weise ist seit Jahren eine hermetische Bildwelt entstanden, in der weder Originalität noch künstlerische Neuerfindungen eine vordergründige Rolle zu spielen scheinen. Im Gegenteil: einer fortschreitend indifferenten Außenwelt begegnet der Künstler mit radikaler Bildentleerung – nicht in einem utopischen Sinn, zum Kern des Bildes vordringen zu wollen, sondern orientiert an den Bruchstellen menschlicher Existenz, indem er das Potential, die entstandene visuelle Lücke auszufüllen, an den sich selbst verantwortenden Betrachter adressiert.
Was in Jan Wawrzyniaks neuen Arbeiten zur Geltung kommt, ist weder Bild noch ist es kein Bild, sondern es ist die Unverfügbarkeit des Bildes, die – bezogen auf den Titel der Ausstellung – geradezu zwingend wirkt: Das Bild ist bei ihm gerade noch Bild, aber nicht mehr Bild genug, um eine Erfahrung des Bildes überhaupt zu ermöglichen.
„Die Erfahrung bahnt sich einen Weg quer hindurch, sie reist zu einem Ziel und findet zu diesem Zweck den Weg, die Bahn, den Durchgang. Sie findet einen Durchgang, einen Zugang, sie schafft es, sich einen Weg zu bahnen, es ist möglich eine Erfahrung zu machen: die Erfahrung ist möglich. Deshalb kann es keine wahre, volle Erfahrung der Aporie geben; die Aporie versperrt den Durchgang oder Zugang. Eine Aporie ist das, was kein Weg ist.“ (Jaques Derrida, Gesetzeskraft)
Die Vergeblichkeit, uns die Welt anzueignen, diese Unmöglichkeit der Erfahrung, die Jan Wawrzyniak erfahrbar macht, ist die „Klemme“, in der wir stecken. Seine beklemmend inkonsistenten Bilder ermöglichen uns „die Erfahrung der Existenz“ – wie Thomas Assheuer es einmal formuliert hat – „aber als Krise“.
»Existence means being in a predicament.« (E. M. Cioran)
Perhaps there is no better apothegm with which to induct the viewer into the miscellany from which Jan Wawrzyniak’s drawn pictures derive their effect. In his first solo exhibition at kajetan Berlin, Wawrzyniak presents a set of new, almost oppressively evacuated works: large-format drawings that––by dint of their very opacity for the viewer––can scarcely be called pictures as such and remain largely beyond adequate description.
Even the simple technical question of whether we are looking at drawings or paintings is less easy to determine than one might expect. The same holds when considering the individual works themselves: surfaces emerge only to recede once more; they open and close or remain curiously intangible. Everything seems perplexingly distorted, the centres are missing, perspective is shallow, there are no vanishing points to speak of.
Wawrzyniak limits himself to a few preferred and trusted tools: slightly off-kilter, irregular formats, canvases primed mostly white, and charcoal, which together enable him to devise––in a series of tonally nuanced greys––partly nebulous yet always oddly precarious and indeterminate relationships between marked and unmarked space. Although his drawings are clearly defined, indeed, they are easily assimilated at first glance, they tend to defy any attempt to combine them into a meaningful whole, i.e. into a consistent form, nevertheless they still seem to relate to one another according to their own internal logic.
This has given rise over the years to a hermetic visual world in which neither originality nor artistic reinvention would appear to be a paramount concern. On the contrary, Wawrzyniak encounters a progressively indifferent external world with a radical emptying of the picture––not in a utopian sense of wanting to get to the heart of it, but oriented towards the cracks in human existence, which he does by leaving the scope for filling the ensuing visual void to the self-responsible viewer.
The remarkable essence to emerge from Wawrzyniak’s new works is neither a picture nor is it not a picture, but rather the picture’s inherent elusiveness, which––in relation to the exhibition’s title––is especially cogent: for Wawrzyniak, the picture is just enough a picture, though not quite picture enough to allow one to actually experience it as such.
»As its name indicates, an experience is a traversal, something that traverses and travels toward a destination for which it finds the appropriate passage. The experience finds its way, its passage, it is possible. And in this sense it is impossible to have a full experience of aporia, that is, of something that does not allow passage. An aporia is a non-road.« (Jaques Derrida, »Force of Law: The Mystical Foundation of Authority«)
The futility of our trying to appropriate the world, this impossibility of experience, which Wawrzyniak renders palpable, is the very »predicament« that besets us. His disturbingly inconsistent pictures do indeed bestow the »experience of existence«, as Thomas Assheuer aptly put it, »but as crisis«.