26 November 2022 – 28 January 2023
Extended (Ausgedehnt) und Contained ([in sich] geschlossen): Schon beim Betreten des Galerieraums mit dem Titel im Hinterkopf werden wir neugierig auf den Inhalt dieser Ausstellung. Der Titel lässt schon erahnen, was uns erwartet: voluminöse Ausdehnung, disziplinierte Dichte oder widersprüchliche Gegensätze?
In dieser Schau treffen sich zwei Künstlerinnen in ihrem bildnerischen Wirken mit reduzierten Mitteln. So unterschiedlich sie auch in der Handhabung ihrer jeweiligen Materialien sind, ihr visuelles Vokabular besteht aus feinen Linien und dem Wechselspiel von Licht und Raum. Dies wird durch die Tatsache ermöglicht, dass beide die Eigenschaften und Merkmale ihrer jeweiligen Materialität nutzen, durch die ihre Werke ihre stark individuelle Präsenz entfalten.
Im ersten Raum tauchen wir in die skulpturale Welt von Gisela von Bruchhausen ein, deren Werke in der präsentierten Zusammenstellung fast zwei Jahrzehnte umfassen. Ihre Arbeiten sind geometrisch angelegte Wandinstallationen, die Eigenschaften des Raumes, in dem sie sich befinden, aufgreifen. Gisela von Bruchhausens Kompositionen existieren in sich modular, aber auch als Ganzes; das Spiel mit Linien, Kurven, dem natürlichen Lichteinfall und den Eigenschaften des Stahls verleiht den Arbeiten geradezu in einer beredten Freiheit ihre jeweilige Geschlossenheit. In einer modernen, skulpturalen Interpretation des Helldunkels lotet von Bruchhausen die Grenzen von Schwarz-Weiß aus, um ein stimmiges, zwischen Zwei- und Dreidimensionalität oszillierendes Ergebnis zu erzielen (Schatten II und Staccato III).
Trotz der augenscheinlichen Kompartimentierung in Gisela von Bruchhausens Arbeiten ist Verbindung das Wort, das den Zugang zu ihrem Œuvre eröffnet. Das Beobachten des Verhaltens des Stahls, seine Schmiedefähigkeiten und die Spannungen, die sich beim Versuch, verschiedene Teile miteinander zu verbinden, aufbauen, ist der Schlüssel zur erreichten Synthese und Geschlossenheit in Gisela von Bruchhausens Werken. So fügen sich die Teile zu einem Ganzen zusammen, und dieses Ganze ist nur dann vollständig, wenn sich Licht und Material, negativer Raum und Körper miteinander verbinden. Indem Gisela von Bruchhausen ihrem Konzept der „strukturellen Komplementarität“ treu bleibt, schafft sie die Voraussetzungen für eine abwechselnde Synergie von Farbe und Form, Spannung und Gelassenheit. In diesem Sinn werden bspw. in Ohne Mitte II oder Staccato III Außen und Innen zu Werken verschmolzen, bei der jeder Blick, jede Perspektive eine neue räumliche Wahrnehmung zur Geltung bringt.
Der zweite Galerieraum zeigt Arbeiten von Birte Horn aus den letzten vier Jahren. Birte Horns Faszination für das Binäre von Raum und Nicht-Raum, Oberfläche und Textur zeigt sich in der Art und Weise, wie sie Übergänge und verschiedene Techniken nutzt, um Wandinstallationen zu schaffen. Ihre Arbeiten scheinen sich endlos ausdehnen zu können, doch die Künstlerin verzichtet bewusst auf unnötige Ergänzungen und legt ihren Fokus auf die Praxis des Schneidens, Malens, Klebens und Nähens. Birte Horns Arbeiten verwenden oft zum Teil übersehene Materialien (wie Schachtel) als Ausgangspunkte, die sich zu komplexen skulpturalen, reliefartigen Farbstücken entwickeln. Horn stellt gerne die Idee der Funktionalität eines Objekts in Frage, indem sie es aus seinen ursprünglichen Eigenschaften herauslöst und in verschiedene Kontexte stellt.
Kann eine Oberfläche jemals vollständig sein? Inwieweit können wir behaupten, dass ein Bild eine eigene Realität ist? Die Cutedge-Serie spielt zweifellos mit diesen Fragen und der Idee einer vermeintlichen „Vollständigkeit“: Schicht um Schicht beginnen die Kartonstücke Tiefe und Textur zu erhalten, fast so, als würden sie an verschlossene Türen oder versiegelte Fenster erinnern, die etwas bergen, auf was sie zugleich hinweisen. Birte Horns Arbeiten, bspw. auch ihre großformatigeren Gemälde, bewegen sich zwischen negativem und positivem Raum, kompakten Oberflächen und der Leere als Teil des Bildes, der Wand und Welt eines möglichen Allover.
In den Werken von Gisela von Bruchhausen und Birte Horn wird ein geschlossenes Gesamt sowohl in physischer Verdichtung als auch Ausdehnung fassbar und begreiflich.
Text von Vanessa Souli
Extended and contained: As soon as we enter the gallery space with the title in mind, we become curious about the content of this exhibition. The title already suggests what awaits us: voluminous expansion, disciplined density or contradictory opposites?
In this show, two artists come together in their sculptural work with reduced techniques. As different as they may be in the manipulation of their respective materials, their visual vocabulary is based on fine lines and the interplay of light and space. This is made possible by the fact that both shape the properties and characteristics of their respective media in a way that lends the work a strongly individual presence.
In the first room we are immersed into the sculptural world of Gisela von Bruchhausen, whose works in the presented compilation span almost two decades. Her works are geometrically-arranged wall installations that incorporate the qualities of the space in which they are found. Gisela von Bruchhausen’s compositions succeed as autonomous modules, but also as a whole; the play of lines, curves, the natural incidence of light, and the properties of steel lend the works their respective cohesiveness in an eloquent freedom. In a modern, sculptural interpretation of chiaroscuro, von Bruchhausen explores the boundaries of black and white to achieve a coherent result oscillating between two- and three-dimensionality (Schatten II and Staccato III).
Despite the apparent compartmentalisation in Gisela von Bruchhausen’s work, connection is the word that opens the access to her œuvre. Observing the behaviour of steel, its forging capabilities, and the tensions that build up when trying to connect different parts is the key to the synthesis and balance achieved. In this way, the individual pieces come together to form a whole and this whole is only complete when light and material, negative and positive space, combine. By staying true to her concept of „structural complementarity,“ Gisela von Bruchhausen creates the conditions for an alternating synergy of colour and form, tension and ease. In this examples of Ohne Mitte II or Staccato III, the outside and inside are merged into one to offer a new spatial perception to the fore.
The second exhibition room shows works by Birte Horn from the last four years. Birte Horn’s fascination with the surface, texture and the binary of space and non-space is evident in the way she uses transitions to create her wall installations. Her works seem to expand endlessly, but the artist deliberately avoids unnecessary additions in order to focus on the actual practice of cutting, painting, gluing, and sewing. Birte Horn’s works often use partially overlooked materials (for example cardboard) as starting points that evolve into complex sculptural relief-like paintings. Horn challenges the idea of an object’s functionality by removing its original properties and placing it in different contexts.
Can a surface ever be complete? To what extent can we claim that an image is a reality in its own right? The Cutedge series undoubtedly plays with these questions and the idea of an alleged „completeness“: layer by layer, the pieces of cardboard begin to take on depth and texture, almost as if they were reminiscent of closed doors or sealed windows that hide something which they simultaneously allude to. Birte Horn’s large-format paintings play between compact surfaces and emptiness, colour and whiteness, the walls and the world.
In this exhibition, the works of Gisela von Bruchhausen and Birte Horn become a tangible and comprehensible experience in both their physical compression and natural extension.
Text by Vanessa Souli